Queer in Osteuropa – in einem Land, wo man nicht sein darf

In den vergangenen Jahren konnte man in mehreren osteuropäischen Staaten, wie Polen und Ungarn einen neuen politischen Trend beobachten. Die Anti-LGBTQIA+ Rhetorik und Gesetzesbestimmungen der regierenden populistischen Parteien haben die Situation der LGBTQIA+-Community in diesen Ländern stark verschlechtert. Klammerauf hat mit Christian Essl und Emmett Hegedűs über ihre Erfahrungen als LGBTQIA+ Personen in Weißrussland und Ungarn geredet.

 In Weißrussland, welches oft als Europas letzte Diktatur bezeichnet wird, regiert der Autokrat Alexander Lukaschenko, der in einem Interview gesagt hat „better to be a dictator, than gay“.

Der 46-jährige Christian Essl erzählt, wie es ihm als schwuler Mann in Weißrussland ging, als er 2010 ein Jahr dort gearbeitet und gelebt hat. „Nach Weißrussland bin ich ziemlich blauäugig hingegangen.“, meinte er. „Ich habe nicht gewusst was mich erwartet.“

Sein erster Eindruck war, dass das Land sehr arm ist und eine sehr präsente Geheimpolizei hat. Er wurde drei Monate lang Tag und Nacht von zwei Männern routinemäßig beschattet, wobei er im Vorhinein darüber informiert wurde. Zusätzlich wurden ihm zahlreiche Verhaltensregeln mitgeteilt: Kein Kontakt mit Weißruss*innen in den ersten drei Monaten, aufpassen mit wem man sich anfreundet und für Gespräche, die nicht abgehört werden sollen, nicht das weißrussische Handy benutzen.

„Schwule Label wie beispielsweise die Regenbogen-Flagge zu zeigen wäre ziemlich dramatisch gewesen, weil das viele Weißruss*innen einfach als eine Krankheit gesehen haben.“

Sich im Nachtleben dort zu etablieren ist Christian Essl und seinem Kollegen nur bedingt gelungen. Einerseits hat es dort nur sehr wenige queere Veranstaltungen gegeben. Andererseits wurden die Partys illegal in Lagerhallen organisiert und oft von Polizei gestört und beendet: „Wir sind relativ schnell wieder gegangen, weil die Leute so angespannt waren, dass es überhaupt keinen Spaß gemacht hat.“

Was Christian Essl Sicherheit gegeben hat, war sein österreichischer Pass und, dass er jederzeit heim fliegen konnte. „Ich hätte eigentlich das starke Bedürfnis gehabt, mich für LGBTQ-Rechte zu engagieren, aber mit dem Wissen, ist das einfach nicht möglich. […] Als schwuler Mann kann man eigentlich nur hoffen, dass man möglichst schnell das Land verlassen kann. Idealerweise mit einem schwulen Mann aus dem Westen. Weil es keine Zukunft gibt.“

Abschließend meint er: „Es ist erschreckend, dass die Tendenzen in unserer Umgebung auch so sind. Dass sich die LGBTQ-Bewegungen teilweise zurückentwickeln, finde ich sehr bedenklich. Einfach, weil ich weiß, wie es ist, in einem Land zu leben, wo man nicht man selbst sein darf.“

LGBTQIA+ Feindlichkeit auch in Polen und Ungarn

In Polen hat Ministerpräsident Andrzej Duda 2020 in seiner Wahlkampagne versprochen Ehe und Adoption für homosexuelle Menschen nicht zu legalisieren und zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche in der Schule über LGBTQ-Themen aufgeklärt werden.

Die ungarische Regierung hat die Zeit, in der der Fokus auf der Pandemie lag, genutzt, um homosexuellen- und transfeindliche Gesetze zu verabschieden. Im November 2020 wurden Gesetze verabschiedet, die die Adoption von Kindern für gleichgeschlechtliche Paare unmöglich machen. Seit dem 1. Januar 2020 dürfen trans Personen kein Blut spenden, seit dem 19. Mai können sie ihr Geschlecht und Namen in offiziellen Dokumenten nicht mehr ändern.

Es gibt jedoch auch in Ungarn LGBTQ-Aktivist*innen, die trotz den Schwierigkeiten nicht aufgeben wollen und für eine gerechtere Gesellschaft kämpfen. Klammerauf sprach mit Emmett Hegedűs, einem jungen trans Mann, der sich neben der Schule für die Rechte von trans Personen einsetzt.

Jung und trans in Ungarn

Emmett ist 18 Jahre alt, besucht ein Gymnasium in Budapest und engagiert sich neben der Schule in einer Organisation, die über LGBTQIA+-Themen aufklärt. Er verbringt gerne Zeit mit seinen Freund*innen und schaut in seiner Freizeit am liebsten Serien und Filme. Er hat zwei Geschwister die sechs und zehn Jahre älter sind als er und sie hatten immer eine gute Beziehung. So auch zu seinen Eltern, „Meine Eltern würde ich sogar als liberal bezeichnen. Nur meine Oma war christlich religiös, aber von meinen Eltern gab es nie Druck, dass wir das auch machen müssen. Mein Vater ist spirituell, aber er hat das uns Kindern nie aufgezwungen“, erzählt er.

Mit vierzehn Jahren hat sich Emmett bei seiner Familie geoutet, die ihn seither auf seinem Weg begleiten. „Meine Mutter hat mich mit anderen trans Personen durch Facebook vernetzt, mein Bruder und meine Schwester haben mich zum Beispiel zu einem Spielabend mit anderen transgender Jungs gebracht.“ Mittlerweile unterstützt ihn auch seine Oma. Einmal sind sie gemeinsam zu einer Schneiderin gegangen und Emmetts Oma ist einen Tag davor hingegangen, um der Schneiderin zu erzählen was Transgender bedeutet. „Sie wollte sicher gehen, dass ich dort respektvoll behandelt werde“, erzählt er mit einem Lächeln. Es sind im allerdings nicht immer positive Reaktionen entgegegen gebracht worden.

Queer-Sein in der Schule

Über LGBTQIA+-Themen war in der Schule nie die Rede. Trotzdem hat Emmett schon mit acht Jahren gewusst hat, dass er sich für Mädchen interessiert, hat er es damals aber instinktiv unterdrückt. Seine erste Erfahrung mit LGBTQIA+-Thema war gleichzeitig seine erste Erfahrung mit Homofeindlichkeit in der dritten Klasse der Volksschule. Als die Jungs aus seiner Klasse merkten, dass er sich in ein Mädchen verliebt hat, haben sie ihn als lesbisch beschimpft.

„Ich bin völlig ausgerastet, als das passiert ist, obwohl ich davor nie was Negatives über dieses Thema gehört habe. Eigentlich kannte ich das Wort lesbisch davor gar nicht.“

Die Silhouetten von zwei Personen vor dämmerndem Hintergrund stecken ihre Köpfe in Zuneigung zueinander

© Jakob Sohm / @jakobsohm

In der Volksschule wurde „buzi“, also das ungarische Wort für „Schwuchtel“, unter den Kindern als Schimpfwort benutzt. Im Unterricht wurde das Thema Queer-Sein gemieden, auch in der sexuellen Aufklärung. Bis Emmetts Bruder eine Präsentation in der Schule über die LGBTQIA+-Community gehalten hat, kannte Emmett das Wort trans gar nicht. Damals war er zwölf Jahre alt. „Die Gefühle waren vor der Präsentation auch da – aber ich konnte sie einfach nicht formulieren. Ich habe keine Worte dafür gefunden, was ich empfunden habe.“

Zum Glück waren ein paar Jahre später im Gymnasium die Mitschüler*innen von Emmett viel offener. „Meine Klasse war eigentlich super, als ich mich geoutet habe.“ Die Lehrer*innen haben sein Outing akzeptiert und ihn danach mit seinem gewählten Namen angesprochen. Seiner Meinung nach ist das Ganze ein Prozess: Manche Menschen brauchen mehr Zeit, manche weniger. Solange er mit Respekt behandelt wird, ist es für ihn okay.

Laut ihm brauchen viele Menschen nur einen persönlichen Anknüpfungspunkt, um ihre Vorurteile zu beseitigen. LGBTQIA+-Themen sind für viele in Ungarn befremdlich und vernab ihrer Lebensrealität. Wenn die einzige mediale Repräsentation von Trans-Sein die homofeindliche Rhetorik der Regierung ist, ist es kein Wunder, wenn viele die LGBTQIA+-Community abweisen, meint er. „Das Wesentliche ist immer, dass man etwas konstruiert, wovor die Leute Angst haben, um sie dann davor zu ‚beschützen‘.“

Emmetts Aktivismus

Emmett hat im Juli 2021 eine Rede auf der Budapest Pride gehalten und mehrere Interviews mit unterschiedlichen Nachrichtenagenturen geführt. Nachdem die Videos erschienen sind, haben ihm sogar Lehrer*innen von trans Schüler*innen geschrieben, um die Schüler*innen zu unterstützen und den Kontakt zu Emmett herzustellen. Laut der „Gesetzesnovelle für ein strengeres Vorgehen gegen pädophile Straftäter und für den Kindesschutz“ dürfen Lehrpersonen in der Schule nicht mehr über Homosexualität und Transidentität aufklären.

Viele haben Angst vor einer Geldstrafe, die man für den Gesetzesverstoß bekommen kann. Deswegen wird auch die Organisation, in der Emmett arbeitet, viel seltener für Vorträge eingeladen. „Davor waren wir zweimal monatlich in Schulen, Unis oder an Arbeitsplätzen, um über LGBTQIA+-Identitäten aufzuklären – aktuell hatten wir im letzten halben Jahr keine Veranstaltung mehr. Die Leute fürchten sich, darüber zu reden.“

Die transfeindlichen Gesetze und ihre Auswirkung auf Emmetts Leben

Die Gesetze, die das Leben von trans Personen in Ungarn schwerer machen, zum Beispiel, dass sie ihr Geschlecht und Namen auf offiziellen Dokumenten nicht ändern zu können, wurden am Beginn der Pandemie beschlossen. Damals konnte man nicht dagegen demonstrieren. Auf meine Frage, wie er sich gefühlt hat, als das Gesetz beschlossen wurde, antwortet Emmett: „Ich war verzweifelt. Ich hatte den Plan, dass ich nach meinem 18. Geburtstag meinen Namen ändern lasse. Von Zuhause aus konnte man nichts machen, außer sich darüber aufzuregen.“

„Das Land zu verlassen wäre eine Option, aber ich will nicht, dass sie bekommen, was sie wollen. Ich habe mich entschieden, dass ich in Ungarn bleibe und weiterkämpfe.“

Dass Emmett darauf angesprochen wird, dass ein weiblicher Name auf seinem Ausweis steht, ist für ihn alltäglich. Er musste schon oft seinen Ausweis im Supermarkt zeigen, weil die Person an der Kassa nicht geglaubt hat, dass die Bankomatkarte ihm gehört. Sogar bei der Impfung, als er mit Namen aufgerufen wurde, hat ihm ein Soldat nicht geglaubt, obwohl er seinen Ausweis und seine Krankenversicherungskarte vorweisen konnte. Am Ende musste die Ärztin, die ihm die Impfung gegeben hat, sich einmischen. In der Schule muss er immer noch seinen Deadname (seinen alten Namen) benutzen, wenn er Arbeiten schreibt. „Es stört mich mittlerweile sehr. Dieser Name ist einfach nicht meiner, und immer, wenn ich mein Deadname schreibe, weiß ich, dass ich das nicht für mich mache. Sondern für die Regierung. Obwohl ich mir meiner Identität als trans Mann bewusst bin, kann ich meinen weiblichen Namen nicht loslassen. Mir ist es nicht erlaubt.“, sagt er.

Ein Herzluftballon ist an einer Autotür angebunden

© Jakob Sohm / @jakobsohm

Auf die Frage, ob er sich ein erfülltes, glückliches Leben in Ungarn vorstellen kann, wenn sich in den kommenden Jahren nichts ändert, ist Emmets Antwort ein eindeutiges Nein. Für ihn bedeutet ein glückliches Leben, dass er einen Arbeitsplatz hat, wo er akzeptiert und geschätzt wird, später in seinem Leben will er eine Familie gründen. Er kann sich all das unter den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Einschränkungen nicht vorstellen.

Er ist aber überzeugt, dass die ungarische Jugend offen für gesellschaftlichen Wandel ist. Die Negativität, die ihm wegen seinem Trans-Sein begegnet, findet überwiegend im digitalen Bereich statt.

Bevor wir uns verabschieden merkt Emmett noch an: „Eigentlich wünsche ich mir nur, dass die Personen, die diese Gesetze beschlossen haben, für fünf Minuten erleben würden, wie es ist, trans zu sein. Und für die, die selbst trans sind: Ja, es ist ein mühsamer Weg. Ich habe mich selber schon oft gefragt, wie ich das durchziehen werde, ob es sich überhaupt lohnt. Aber es ist wichtig, und es zahlt sich wirklich aus. Als ich angefangen habe, Hilfe zu suchen, war ich überrascht, dass ich sie gefunden habe. Das hat mir gezeigt, dass auch trans Menschen eine Zukunft haben. Diese Zukunft wird eine schöne sein, wenn man dafür kämpft.“

„Man darf nicht aufgeben. Ich bin stolz auf die Person, die ich geworden bin. Trans Menschen sind genauso wundervoll wie alle anderen.“

Gesprächiger und kreativer Katzenmensch mit einer Vorliebe für ungarische alternative Musik. Bastelt am liebsten Schmuck, häkelt und fotografiert gerne analog. Mag es aktuelle Nachrichten zu verfolgen und ist politisch aktiv. Kann nur produktiv sein, wenn ihr Schreibtisch ordentlich ist.

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